Was passiert, wenn die große weite Welt bereits in großem Maßstaab abgerockt ist? Klar, ein Solo-Projekt muss her. So ging es auch Richard „Scholle“ Kruspe. Seines Zeichens Gitarrist bei Rammstein, hat Kruspe (aka Bernstein), selbst ein gutes Beispiel für internationale Emigration, seinen eigenen Longplayer fertig. Damit hat er es seinem Bandkollegen und markenzeichnenden Kumpel Till Lindemann gleich getan. Wer jetzt jedoch glaubt, eine weitere Industrial Scheibe á la Rammstein zu bekommen, der wird überrascht sein.
Einige danceable Metall Anleihen im Industrial Gewandt gibt es natürlich, sicher ein Zugeständnis an seine Rammstein Fans, überwiegend jedoch sehr stilgelöst und melodiös. So auch Scholles Gesang. Das erinnert streckenweise an die frühen Soundgarden und zeigt extreme amerikanische Einflüsse. Die Texte sind somit auch auf Englisch. Kein Wunder also, sieht man sich seine Biografie an. Zur Zeit lebt Kruspe in New York, wo Ex-Frau und Kind beheimatet sind. Caron Bernstein (die Ex) singt übrigens ebenfalls im Backround auf der CD.
Der Titelsong „Emigrate “ ist eher ein Rammstein Sound, jedoch gesanglich ungefär so, als würde jemand im Blue System Style die Sache angehen. „Wake Up“ hingegen geht voll auf die Schnauze und zeigt auch gleich die Vielfältigkeit zur Gitarren- und Gesangs-Dominanz. Diesen Titel hätte ich mir eigentlich als Opener gewünscht, da hier sofort klar gestellt wird, welch andere Farbe hier angesagt ist. Spätestens bei „Let Me Break“ wird stilistisch gefiltert. Titel wie „In My Tears“ sogar, hätte es niemals bei Rammstein gegeben. Bei „Babe“ klingt es dann komplett nach Chris Cornell. Da kann man sich sogar ein geiles Fusion-Projekt mit dem Soundgarden- und Bond-Sänger vorstellen – das wäre wirklich mal interessant.
Alles in Allem ist die erste Scholle grandios gelungen und allerwärts eingängig. Mit „New York City“ steht bereits ein smarter Hit parat. Diese CD sollte kein Einzelfall bleiben, und zeigt, dass auch deutsche Musiker etwas bewegen können, ohne sich in die Germano-Rock Schiene begeben zu müssen. So ist „You Can’t Get Enough“ ebenso Wegweiser für Scholle. Emigrate ist mehr als nur ein Experiment. Wirklich genial ist übrigens der Pressetext zur CD (so etwas wie ein 6er mit Zusatzzahl), da steht der Herr Emigrate im Interview mit seinem Alter Ego Richard Kruspe. Das ist schon lustig, beschäftigt es sich doch mit der Frage, wie er mit der Rammstein-Situation klar kommt. Das hat Anflüge von Schizophrenie, von denen musikalisch aber keine negativen Auswirkungen zu vernehmen sind. Schizo jedoch ist das zweite Herz in der Brust des Richard Kruspe, ist es doch eine klare Abkopplung vom Gewohnten. Einfach super!
Emigrate Wake Up My World Let Me Break In My Tears Babe New York City Resolution Temptation This Is What You Can't Get Enough Release 31.08.2007, Motor MusicTweet